HEILMITTELÖKONOMIE UND HYPERTONIE Teil I
Unser Diskussionsbeitrag zum Thema Kosten im Gesundheitssystem
Zusammenfassung: Im Rahmen des Hausärztekongresses in Bad Gleichenberg
haben wir, Dr. Heindl und Dr. Bidner, eine durch die Professoren DDr.
Clement(WU Wien) Dr. Luf (Rechtsphilosophie der Universität Wien)
Dr. Magometschnigg (Medizinische Fakultät der Uni Wien) und Dkfm.
Geisler (Pharmig) unterstützte Arbeit zum Thema Hypertoniebehandlung
im Burgenland vorgestellt. Fragestellung: Ist die derzeit im Burgenland
betriebene medikamentöse Hypertonietherapie ausreichend? Methodik:
Die vom Institut für Sozialmedizin und der WHO geschätzten
Zahlen der Österreicher mit Hypertonie wurden anhand der Bevölkerungszahlen
auf das Bundesland Burgenland hochgerechnet. Aus den Rezeptdaten der
Burgenländischen Gebietskrankenkasse (1999) wurden die Kosten der
antihypertensiven Therapie sowie die geschätzte Anzahl der damit
behandelten Patienten abgeleitet. Ergebnis: Aus dem Vergleich ergibt
sich ein geschätzter jährlicher finanzieller Mehrbedarf zur
suffizienten Behandlung aller derzeit therapierten Hypertoniker von
16.5 Mio. ATS, zur Behandlung aller bereits diagnostizierten aber unbehandelten
Hypertoniker von zusätzlich 33.8 Mio. ATS und zur Behandlung auch
der derzeit noch nicht diagnostizierten Fälle ein weiterer Finanzbedarf
von 101.5 Mio. ATS. Ausblick: Zur Erreichung eines freilich nirgendwo
definierten Gesundheitszieles Normotension bei Hypertonikern
müsste mit einem Gesamtaufwand von 222.9 Mio. ATS gerechnet werden.
Tatsächlich gibt die Burgenländische Gebietskrankenkasse zur
Hypertoniebehandlung 70.9 Mio. ATS aus.
Einleitung: Wir haben die Indikation Hypertonie zur Analyse ausgewählt,
da in dieser Indikation die Effizienz der medikamentösen Therapie
besonders hoch ist, weil:
1. Die Responderrrate mittels Kombinationstherapie bis auf 90% gesteigert
werden kann.
2. Die number needed to treat zur Verhinderung eines schweren vaskulären
Ereignisses mit etwa 3 sehr niedrig (im Vergleich
zu anderen Therapiefeldern - z.B.: Lipidsenker -) ist.
3. Die Ausgaben für Antihypertensiva einen bedeutsamen Anteil der
gesamten Medikamentenaufwendungen ausmachen.
Veränderungen wirken sich daher relativ stark auf die
Gesamtkosten aus.
4. Der Therapieeffekt gut messbar und dokumentierbar ist, obwohl die
Blutdrucksenkung als Surrogatparameter zuletzt
vermehrt in Diskussion gerät und der Therapieerfolg letztlich nur
an Mortalitätssenkungen und Steigerung
der Lebensqualität gemessen werden dürfte.
Schon ein Überfliegen der Zahlen in der Zusammenfassung würde
andere Schlussfolgerungen zwingend notwendig machen als jene die uns
allen bis zum Überdruss aus der laufenden öffentlichen Diskussion
bekannt sind. Zur Beleuchtung dieses Paradoxons Robert Menasse (in 80
Tagen gegen die Welt):
Ich glaube, weder Österreicher noch Nichtösterreicher
sind sich wirklich darüber im Klaren, auf wie viel produktiven
Missverständnissen jede Debatte über politische und gesellschaftliche
Realität dieses Landes beruht: scheinbar so einfach nachvollziehbare
Voraussetzungen, die so einfach nachvollziehbar aber gar nicht sind,
scheinen unversehens ins Groteske oder Bedrohliche zu kippen, das aber
so grotesk oder bedrohlich gar nicht ist, und dazwischen tun sich Abgründe
auf, die zwar nicht existieren, aber doch Einblicke unter die Oberfläche
ermöglichen.
Rahmenbedingungen für Therapie in Österreich:
Gesetzlicher Hintergrund und Selbstverpflichtungen:
-) Der Eid der Ärzte nach Hippokrates: ...Meine Anordnungen
will ich geben nach meinem Können und Wissen
zum Nutzen der Leidenden, Verderben und Schaden aber ihnen wehren.
-) § 22 Ärztegesetz: Der Arzt ist verpflichtet, jeden
von ihm in ärzltiche Beratung oder Behandlung
übernommenen Gesunden und Kranken ohne Unterschied der Person gewissenhaft
zu betreuen. Er hat hiebei nach Maßgabe der ärztlichen Wissenschaft
und Erfahrung, sowie unter Einhaltung der bestehenden
Vorschriften das Wohl der Kranken und den Schutz der
Gesunden zu wahren. Bezüglich dieses Paragraphen besteht
folgender Interpretationskonsens (siehe auch Eigenanspruch
des KV-Trägers): Der Anspruch auf bestmögliche
medizinische Versorgung und Betreuung unter Wahrung eines hohen wissenschaftlich
fundierten Qualitätsstandard.
-) Gesamtvertrag: Die Krankenbehandlung muß ausreichend und zweckmäßig
sein, darf aber das Maß des Notwendigen nicht
überschreiten, ergänzt um die Richtlinien über die ökonomische
Verschreibweise von Heilmitteln und Heilbehelfen.
-) Unter Anliegen, Ziele und Vorhaben durch die KV-Träger
steht: Die KV-Träger sind bestrebt die optimale
Versorgung der Anspruchberechtigten sicher zu stellen. Sie übernehmen
die Kosten auch für die neuesten und teuersten
Heilmittel, wenn deren Einsatz notwendig ist (HMV,
S. 5)
Nationaler Konsens (im Folgenden zitiert Prof. Dr. Luf): Der Patient
hat:
-) den Anspruch auf bestmögliche Medizinische Versorgung und Betreuung
unter Wahrung eines hohen wissenschaftlich fundierten
Qualitätsstandard.
-) den Anspruch auf gleichen Zugang zu den Leistungen des Gesundheitssystems,
unabhängig von ungleichen individuellen Voraussetzungen
sozioökonomischer Art.
-) den Anspruch auf Effizienz der Kosten als des möglichst rationalen
Einsatzes vorhandener Mittel. Diese Effizienz des
Kosteneinsatzes ist auch aus legitimatorischer Perspektive bedeutsam.
Denn sie bildet eine wichtige Voraussetzung für die Bereitschaft
der BürgerInnen wachsende Aufwendungen durch
erhöhte Beiträge solidarisch zu finanzieren.
-) den Anspruch auf Anerkennung und Berücksichtigung von Selbstverantworlichkeit
und Selbstbestimmung als fundamentale Prinzipien der
Verwirklichung von Humanität. Eine Forderung,
die sowohl die Stellung der Patienten als auch der Ärzte betrifft.
Sie soll insbesondere verhindern, daß Erstere
(Patienten) zu bloßen Objekten paternalistischer Obsorge
bzw. letztere (Ärzte) zu bloßen Adressaten überbordender
bürokratischer Regulierung und Kontrolle degradiert
werden, was den Bereich eigenverantworteten Handelns übermäßig
verengt.
Dieser letzte Punkt ist möglicherweise kein nationaler Konsens,
aber für uns Ärzte von
aller größter Bedeutung.
Aus den Ergebnissen unserer Arbeit und in Gegenüberstellung zu
den genannten Rahmenbedingungen ergeben sich für uns folgende Schlussfolgerungen:
Ärzteschaft, KV-Träger, Öffentliche Hand und ausdrücklich
auch die Medien werden ihrem Auftrag und ihren Selbstverpflichtungen
nicht gerecht (siehe ethische und gesetzliche Rahmenbedingungen, sowie
Zielformulierungen der KV-Träger).
Die Krankenbehandlung (wie in dieser Arbeit am Beispiel der Hypertonie
dargestellt) ist: nicht ausreichend - wäre aber: in höchstem
Maße zweckmäßig - und unterschreitet das Maß
des Notwendigen geschweige denn Optimalen deutlich.
Die medikamentöse Behandlung in der Hypertonie ist höchst
insuffizient, weil das angestrebte Ziel, Normotension, nicht erreicht
wird und als Gesundheitsziel auch offiziell im Rahmen der Krankenversicherungen
gar nicht formuliert ist.
Der denkbar ineffektivste Einsatz von Mitteln ist aber dann gegeben,
wenn das Ziel, das mit diesen Mitteln erreicht werden soll, beträchtlich
oder ganz verfehlt wird.
Die Bevölkerung hält Gesundheit für ein subperiores Gut.
Sie ist nachweislich mit steigendem Einkommen bereit mehr (um ¼
mehr als es dem Einkommenszuwachs entspräche ) dafür auszugeben.
Das gilt im Prinzip auch für die einkommensschwächeren Gruppen,
nur können sie nachvollziehbar dieser gleichen Bereitschaft in
nur geringerem Ausmaß nachkommen. Daher ist ein auf Solidarität
gründendes System einer Krankenversicherung auch für die Zukunft
unausweichlich.
In der Indikation Hypertonie besteht ein objektiver Nachholbedarf an
Medikamenten, und zwar mit Blick auf das Maß des Notwendigen.
Das Wachstum an Medikamentenausgaben bei Ernstnehmen des gesetzlichen
Auftrages und der gewählten Selbstverpflichtungen ist vorprogrammiert
und kann niemanden überraschen.
Das öffentliche Sprechen über exorbitante oder explodierende
oder nicht mehr zu finanzierende Medikamentenkosten leugnet eine Wirklichkeit,
der man höchstens temporär entrinnen kann. Um so brutaler
schlägt sie wenige Zeit später zurück. Noch jeder, der
versucht hat, statt mit der Wirklichkeit, gegen sie anzulaufen, wurde
durch das Leben und seine Fakten bestraft.
Gen.Dir.-Stv. Dr. Probst sagt: Niemand kann mir doch einreden,
daß bei einer Medikamentensteigerung von 15 %, die Menschen auch
um 15 % gesünder geworden sind. Das will auch niemand. Mit
dieser Medikamentensteigerung wurden 15 % mehr Menschen, die eine Behandlung
brauchten in der Erkrankungsgruppe Hypertonie, Hyperlipidämie,
Onkologie, Depression, Margen-/Darmerkrankungen mehr und neu behandelt.
Es wurde also mehr Menschen eine Chance auf mehr Gesundheit in der Zukunft
eröffnet. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Ein weiteres Zitat
Dr. Probst: Oberstes Ziel für uns ist es die Ausgaben für
Medikamente in Zukunft zu stabilisieren.
Wäre 1995 nicht massiv interveniert worden, um die Medikamentenausgaben
für drei Jahre zu senken mit einem massiven Rebound-Effekt in den
folgenden Jahren hätten wir seit 1994 die gewünschte Stabilisierung,
die Dr. Probst für die Zukunft wünscht.
Die Pharmaindustrie hat was die wachsenden Kosten im Gesundheitsbereich
anlangt, von KV-Träger-Seite her gesehen, schmerzlich genug, Erfolg,
weil sie jetzt und auch in Zukunft einen objektiven Bedarf mit Produkten
bedienen kann. Wir sind noch lange nicht so weit, wie in anderen Bereichen
der Wirtschaft, wo eine Industrie einen künstlichen Bedarf - mit
ungeheurem Mitteleinsatz - schafft, um ihn anschließend mit Gewinn
befriedigen zu können.
Kann man nun im Sinne unserer angedachten - z.T. schon realisierten
- Projekte in pharmakoökonomischer Hinsicht sparen? Ja! Aber mit
welchem Preis?
Bedenken: Bei massivem Generica-Einsatz (zB laufender Präparatwechsel,
Einsatz unbekannter und wenig geläufiger Präparate) ist mit
einer Verunsicherung der Behandelten und mit großen Compliance-Problemen
zu rechnen. Es kommt zu Image-Schädigungen der Ärzteschaft
nach außen und innen durch Uniformierung und damit Schädigung
des freien Arzt-Seins. Es kommt zu einer Image-Schädigung
der Sozialversicherungen als bürokratische Rationierer. Es provoziert
Ausweichstrategien der pharmazeutischen Industrie (späteres Einführen
von Medikamenten am Österreichischen Markt, Zurückziehen von
Medikamenten vom Österreichischen Markt, aggressives Marketing
zunächst an die Ärzteschaft (immer mehr aber auch an die Bevölkerung
direkt gerichtet).
Nichtsdestotrotz sind wir Ärzte bereit die Sozialversicherung darin
zu unterstützen, über den Generica-Markt Einsparungen in den
Medikamentenkosten zu erzielen. Wir verlangen nur über das Wie
sorgfältiger und unvoreingenommener, Alternativen prüfend,
nachzudenken.
Wir glauben und werden dafür auch detailliert Vorschläge machen,
daß dies ohne Beschädigung ärztlicher Identität,
wie sie leider schon in diversen Bundesländerverträgen Wirklichkeit
geworden ist, möglich ist. Wir beziehen uns damit auf Vertragspassagen,
in denen der Ärzteschaf aus erzielten Einsparungsbeträgen
Vorteile in Honorar- und Leistungsumfang oder Ähnlichem in Aussicht
gestellt werden. Gemeint sind damit auch alle derzeit existierenden
konkreten Projekte, die von, in den Kassen etablierten Pharmaökonomie.
Beratern, im Zusammenwirken mit der Ärztekammer, vordergründig
durchaus erfolgreich laufen.
Was sind nun die Gründe für dieses offensichtliche Versagen
aller Beteiligten? Ist hier die berühmte kriminelle Energie am
Werk? Müssen schärfere Gesetze, schärfere Sanktionen
her? Wir glauben nein. Wir meinen, dass sich hier ein zwar gut gemeintes
System mit von Anfang an eingebauten kapitalen Fehlern einfach in einer
Eigendynamik über die Jahrzehnte hinweg pervertiert und die Teilnehmer
deformiert hat. Der wohl kapitalste Fehler war die entmündigte
Empfängerrolle des Patienten. Dazu kam der bewusste, in seinen
Folgen aber nicht abgeschätzte Einbau von Zielkonflikten in die
jeweilige Rolle von Sozialversicherung und Ärzteschaft, die mit
großen Identitätsverlusten beider endete. Und nur mehr in
diesem einen Punkt, nämlich dem Identitätsverlust besteht
und erneuert sich Solidarität auf eine merkwürdige Weise zwischen
den Partnern. Zwei Blätter den Winden der Ideologie, der Ökonomie
oder was auch immer hilflos ausgesetzt. Sie kennen das wirkliche Woher
nicht mehr, und haben damit auch kein wirkliches Wohin, sondern nur
mehr das nächstgelegene Rettende oder dies Versprechende. Dasein
ohne erinnerte Vergangenheit und daraus wachsender Zukunft. Und daher
verwundert es auch nicht, wenn dieser wache Zeitzeuge Günter Nenning
befindet, der Patient solle der Hausarzt seiner selbst sein, er brauche
gar keinen Hausarzt, und man müsste wohl ergänzen auch keine
Sozialversicherung. Damit bezieht er sich nur mehr auf die Hüllen,
die übriggebliebenen Fassaden ihrer selbst. Unsere Zukunft ist
also darin zu sehen, zu Hausärzten der Hausärzte ihrer selbst
zu werden. Hausärzte von mündigen, selbstbewussten, Verantwortung
für sich und andere übernehmenden Menschen. Vice Versa müßte
die Sozialversicherung die Versicherung der sich selbst versichernden
mündigen Patienten werden. Das paternalistische Prinzip würde
sich zum partnerschaftlichen Prinzip entwickeln. Daher um uns und unseren
Patienten eine Entwicklung in diese Richtung zu ermöglichen, sind
wir als Hausärzte entschlossen Wirklichkeit nicht mehr zugunsten
irgendeiner nützlichen politischen auch und in erster Linie standespolitischen
Realität oder Illusion zu verschleiern. Damit soll aber gleichzeitig
eine schwierige Finanzierungslage nicht geleugnet werden. Wir sind entschlossen
uns den Konsequenzen eines schon seit Jahren laufenden Transformationsprozesses
im Gesundheitswesen mutig und offen zu stellen. Wir sind bereit, uns
um eines neuen Zieles willen, um eines neuen Konsenses Willen Zumutungen
auszusetzen und diese im stillen Wissen um unseren Wert in jedem denkbaren
Gesundheitssystem gelassen zu tragen und uns daran anzupassen. Es wird
immer wieder konstatiert wir Ärzte säßen mit der Sozialversicherung
in einem Boot. Lassen Sie uns aber genauestens Acht haben darauf, daß
in dieser Atmosphäre, die Aufforderung zur Solidarisierung nicht
mehr von Komplizenschaft an sich hat als von Solidarität. Lassen
Sie uns daher genau prüfen, ob das, was wir einander zumuten Mut
macht oder Mut nimmt in gemeinsamen Gestaltungen. Lassen Sie uns bei
aller notwendigen Auseinandersetzung eine gemeinsame Sprache entwickeln,
die keine Eintracht simuliert, aber eine Erkenntnis befördernde
gemeinsame Sprache ist. Diese letzten Bitten lehnen sich an die Bitten
des Präsidenten der Akademie der Wissenschaften, Prof. Welzig,
an. Er wandte sich an die österreichische Öffentlichkeit mit
dem Titel: Gegen eine Politik der Propagandaphrasen.
Im einem der nächsten Hefte werden wir detailliert Vorschläge
für eine Neugestaltung des Gesundheitssystems aus der Sicht des
ÖHV darstellen und zwei Möglichkeiten diskutieren auf den
immensen Druck der Öffentlichkeit im Hinblick auf die Einsparung
bei Medikamenten zu antworten.
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