STANDESPOLITIK

Stellungnahme zum Gesamtvertragsbestandteil
„Komplementärmedizin“

Materielles Recht:

Aus dem Ärztgegesetz ergibt sich bereits die Verpflichtung, daß jeder Arzt erwiesenermaßen wirkungslose oder gar gefährliche Behandlungsmethoden zu unterlassen hat. Diese Verpflichtung ist selbstverständlich auch (stillschweigender) Bestandteil des jeweiligen kurativen Einzelvertrages, den ein Vertragsarzt mit einem Sozialversicherungsträger abgeschlossen hat. Eine beharrliche Berufspflichtenverletzung, welche gemäß § 343 Abs 4 ASVG den Sozialversicherungsträger zur Kündigung des kurativen Einzelvertrages berechtigt, könnte darin liegen, daß ein Vertragsarzt seiner aus dem Ärztegesetz resultierenden Verpflichtung zur Unterlassung gefährlicher bzw erwiesenermaßen wirkungsloser Behandlungsmethoden (beharrlich) nicht nachkommt. Insoferne trägt der vorliegende Katalog zur Rechtssicherheit bei, da ein Vertragsarzt jedenfalls keine Kündigung seines kurativen Einzelvertrages befürchten müßte, wenn er lediglich auf die in der Liste enthaltenen komplementärmedizinischen Leistungen verzichtet.

Entgegen der Ansicht von KAD Dr. Wallner (OÖ Ärzte, 14ff) gehe ich jedoch davon aus, daß keine Regelungskompetenz der Ärztekammer für OÖ und der OÖGKK im Wege eines Gesamtvertrages (Gesamtvertragsergänzung) wie des(r) vorliegenden besteht:

Zwar sind gemäß § 342 Abs 1 Z 3 ASVG in einem Gesamtvertrag die Rechte und Pflichten eines Vertragsarztes zu regeln, doch kann diese Bestimmung nur so ausgelegt werden, daß nur jene Rechte und Pflichten geregelt werden können, welche die vertragliche Beziehung zwischen Arzt und Sozialversicherungsträger betreffen. Ein Gestaltungsmöglichkeit für jenen Bereich, der als sog „kassenfreier“ Raum bezeichnet wird, also einen „außervertraglichen“ Bereich betrifft, scheidet naturgemäß aus. Der sog „kassenfreie“ Raum kann daher meines Erachtens nie Regelungsgegenstand eines Gesamtvertrages sein. Den „kassenfreien“ Raum gestalten sohin Patient und Arzt.

Selbst wenn man von einer Regelungskompetenz wie oben verneint ausginge, läge jedenfalls in Bezug auf jene Patienten eines (ansonsten Vertrags-) Arztes, welche nicht bei der OÖGKK (und § 2 Kassen) sozialversichert sind und/oder den Arzt als Privatpatienten aufsuchen, keine Regelungskompetenz vor: Vertragsgegenstand zwischen Arzt und Privatpatient sind lediglich die - durch das Ärztegesetz mitdeterminierten - Vereinbarungen zwischen Arzt und Privatpatient; gesamtvertragliche Regelungen berühren dieses Vertragsverhältnis keinesfalls, und sind Eingriffe in dieses private Rechtsverhältnis durch die Gesamtvertragsparteien unstatthaft.

Hinzu kommt, daß nicht die OÖ Arztekammer und die OÖGKK Auslegungsinstanzen für das Ärztegesetz sind, und kommt den genannten Instiutionen keine Auslegungskompetenz hinsichtlich der Frage zu, welche ärztlichen Leistungen nach dem Ärztegesetz einem (jeden) Arzt verboten sind. Auslegungsinstanzen hiefür sind vielmehr die ordentlichen Gerichte, allenfalls auch die im ASVG vorgesehen Instanzen, sollte eine Streitigkeit zwischen Vertragsarzt und Sozialversicherungs-träger (zB in einem Vertragskündigungsverfahren) vorliegen.

Rechtswidrig ist zudem der eingenommene Rechtsstandpunkt, die gegenständliche Regelung betreffe alle Mitglieder der Kurie der niedergelassenen Ärzte Oberösterreichs: Gesamtvertragliche Regelungen wie die vorliegende haben nämlich für Wahlärzte und Wohnsitzärzte keinerlei Verbindlichkeit, wie sich bereits aus der Gesamtkonzeption des Vertragsarztwesens nach dem ASVG ergibt. Wahlärzte und Wohnsitzärzte unterliegen daher niemals dem Regime gesamtvertraglicher Regelungen wie der vorliegenden und können gesamtvertragliche Regelungen für die genannten Ärztegruppen keinerlei Rechtsverbindlichkeit entfalten. Plakativ zum Vergleich: Es liegt auf der Hand, daß ein Kollektivvertrag für Bäcker nicht auch für Schuster gelten kann.

Die vorliegende Gesamtvertragsergänzung erweist sich daher mangels Regelungskompetenz der Gesamtvertragsparteien insgesamt als rechtswidrig.


Verfahrensrechtliche Durchsetzbarkeit:

Vertragsärzte, die von der gegenständlichen Regelung betroffen sind, etwa weil sie in der „Liste“ enthaltene komplementärmedizinische Leistungen erbringen oder dies in nächster Zukunft zu tun beabsichtigen, die also ein rechtliches Interesse haben, hätten gegen die Regelung mit einem Feststellungsantrag auf Unwirksamkeit gegen die OÖGKK vor der Paritätischen Schiedskommission für OÖ, in zweiter Instanz vor der OÖ Landesberufungskommission mit der nachfolgenden Möglichkeit der Erhebung einer Verfassungsgerichtshofbeschwerde vorzugehen.

Wahl- oder Wohnsitzärzte, auf die die Streitschlichtungsbestimmungen des ASVG nicht anwendbar sind, hätten mit einer Feststellungsklage gegen die OÖ Ärztekammer und die OÖGKK vor den ordentlichen Gerichten vorzugehen, sollten die genannten Institutionen weiterhin den Rechtsstandpunkt einnehmen, die vorliegende Regelung sei auch für Wahl- und Wohnsitzärzte verbindlich.


Innsbruck, am 16.8.2001

(Mag. Markus Lechner)