GRUNDSATZDEBATTE

Wider die Hysterie und Desinformation bei Medikamenten
Dr. Daniel Bidner, Präsident des Bgld. Hausärzteverbandes namens des ÖHV

Es ist zukünftige Aufgabe einer komplexen Gesundheitsreform unnötige kostenproduzierende Ineffizienzen in den Pharmaausgaben aufzuspüren und bis auf einen unvermeidlichen Rest zu beseitigen. Hier gibt es ein Einsparungspotential, aber nach der Reform, nicht vorher. Das ist die eine Wahrheit.

Die zweite Wahrheit ist aber: Entsprechend der im Rahmen einer umfassenden Gesundheitsreform zu definierende Gesundheitsziele werden die Pharmaausgaben berechtigter Weise, ja unausweichlich steigen, wenn die Versorgung der Patienten entsprechend des gesetzlichen Hintergrundes, diesbezüglicher Selbstverpflichtungen und des nationalen Konsenses nicht gefährdet werden soll.

Wer die eine Wahrheit zugunsten der anderen leugnet, täuscht und belügt sich selbst und die anderen und will ausschließlich eigenes Machtgefüge und Behauptungsstrategien schützen.

Eine durch die Drs. Heindl und Bidner durchgeführte Arbeit („Heilmittelökonomie und Hypertonie im Burgenland“) zum Gesundheitsziel „Normotension“ (normaler Blutdruck) zeigt, dass etwa eine Verdreifachung des Medikamentenaufwandes notwendig wäre, um dieses Gesundheitsziel zu erreichen. Ähnliche Steigerungen wären für viele andere Gesundheitsziele zu erwarten.

Die Ergebnis-Darstellung der BGKK im Hinblick auf das im Burgenland laufende Einsparungsmodell über Verordnung von Blutdruck-Generica wiederum zeigt, dass zwar beträchtliche Kostensenkungen über den Preis der nun modifiziert verordneten Hypertonie-Medikamente erzielt werden konnten, der Gesamtaufwand aber durch die Mehrbehandlung von Fällen trotzdem sogar leicht angestiegen war. Im Folgenden einige Fakten:

1. Es hat in den letzten Jahren 1998, 1999 und 2000 überproportional Pharma-Ausgabensteigerungen gegeben, ausschließlich als Rebound-Effekte auf 1995 und 1997 durchgeführte staatliche Interventionen (Großhandelsspanne und Preisspannensenkung). Ohne diese Interventionen hätte es seit 1994 eine gleichmäßige Kostensteigerung von etwa 8 Prozent gegeben.
2. Mit diesen Ausgabensteigerungen lag Österreich etwa 0,5 Prozentpunkte über dem langjährigen Durchschnitt Europas. Gleichzeitig aber bewegte sich der Pro-Kopf-Mengen-Verbrauch über eine Zeitspanne von 10 Jahren deutlich unter dem europäischen Durchschnitt.
3. Frankreich im Vergleich zu Österreich (Platz 1 versus Platz 9 im Gesundheitsranking einnehmend) verbrauchte ca. zweimal so viele Medikamenten-Packungen (sowohl in Packungen als auch in Standard-Units ausgedrückt). Die Wachstumsrate in Frankreich betrug in den Vergleichsjahren allerdings lediglich 4,6 Prozent (Resteuropa: 12 Prozent). Es scheint auf bestimmtem Niveau Sättigungserscheinungen zu geben. Offensichtlich ergibt sich aber daraus, dass eine breitere, modernere und damit aktuellere Versorgung der Bevölkerung mit Medikamenten nicht unbedingt ein Disqualifikationsausweis ist.
4. Von ca. 12 Prozent Umsatzsteigerungen bei Medikamenten 1999 entfielen 10,6 Prozent (also fast alles) auf das Wachstumselement „Strukturveränderung“. Strukturveränderungen enthalten insbesonders die demographisch bedingt erhöhte Nachfrage. Beispiel: ab dem 50. Lebensjahr steigt der Packungsverbrauch deutlich, bei den über 90-Jährigen gab es 1998/99 eine satte 40%ige Steigerung.
5. In Folge ihrer geringen Personalintensität werden Medikamente auch absehbar das billigste Gesundheitsleistungsangebot an den einzelnen Menschen bleiben. Sie sind daher von größter demokratiepolitscher Bedeutung im Sinne einer Verteilungsgerechtigkeit, weil viele, um nicht zu sagen alle Menschen, also und insbesondere die sozial Bedürftigen, auf hohem medizinischem Niveau versorgt werden können. Medikamente haben die größte Breitenwirksamkeit in der Bevölkerung. Dies ist auch ablesbar an den jeweils höheren und höchsten Pharmaquoten der gerade ärmsten Länder Europas. Bewusste und unbewusste Rationalisierungs- und Rationierungselemente werden sich genau gegen diesen breitenwirksamen Sozialaspekt richten.

Schlusswort: Die Hysterie, die rund um die Medikamentenausgaben erzeugt wird und die Rolle des Sündenbocks, die den Pharmaka und damit der Pharmazeutischen Industrie und der verschreibenden Ärzteschaft zugewiesen wird, ist unberechtigt und kann damit nur von den wirklichen Problemen ablenken. Jeder Aktionismus ist daher fehl am Platz. Umfassende, komplexe und differenzierte Überlegungen zur Struktur des gesamten Gesundheitswesens wären zielführender. Leider hat sich die Ärzteschaft aus falschverstandener Solidarität in das vordergründige aktionistische Gehabe durch unterschiedliche vertragliche Regelungen, die Einkommenszuwächse direkt oder indirekt über Neueinführung von Leistungen aus eingesparten Pharmawachstumsprozenten versprachen, einbinden lassen. Jetzt hat sie damit ein konkretes Interesse, diesen Aktionismus mitzumachen.

Kontaktadressen:

Dr. Daniel Bidner
Eisenstädter Str. 21
7011 Siegendorf
Tel.: 02687/48281-54
Fax: 02687/48281-35


Dr. Hans Heindl
Rathausplatz 2
7053 Hornstein
Tel: 02689/2268
Fax: 02689/2268-4
Email: 0664/6362454
Email: haheind@utanet.at